Auszeichnung

Goldener Mops für Fernseh-Doku "Leben ohne Erinnerung"

Die Radio-Bremen-Dokumentation "Leben ohne Erinnerung" ist auf dem diesjährigen Filmfest Bremen mit dem "Goldenen Mops" ausgezeichnet worden. Der Film der beiden Autorinnen Nadine Niemann und Mechtild Lehning erhielt den Publikumspreis in der Kategorie "Bremer Film". Die Preisverleihung fand am 24. April 2022 zum Abschluss des Filmfests im Theater Bremen statt.

Das Film-Team vor einem Filmfest-Bremen-Plakat
Das Filmteam (v.l.n.r.) mit dem "Goldenen Mops": Christoph Oldach (Kamera), Ruth Reeh-Georgi (Ton) mit dem beiden Autorinnen Mechtild Lehning und Nadine Niemann sowie Redaktionsassistentin Jingjing Lü. Bild: Radio Bremen

Im Mittelpunkt der Dokumentation steht Daniel, der bei einem Unfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat und sich von nun an in einem Leben ohne Erinnerungen zurechtfinden muss. Der Radio-Bremen-Film von Nadine Niemann und Mechtild Lehning hat Daniel zwei Jahre lang in seinem Alltag beobachtet, ihn zu Therapien, zu Vorträgen und ehrenamtlicher Tätigkeit begleitet.

Daniel, der Protagonist des Films
Bild: Radio Bremen

Entstanden ist das Porträt eines Mannes, der trotz Tiefpunkte seinen Lebensmut und seinen Humor nicht verliert. Redegewandt und klug reflektiert er seine Situation und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Die Dokumentation in der ARD-Mediathek ansehen

Ausstrahlungstermin: Mittwoch, 10. März 2021, 22:05 Uhr.
Online verfügbar vom 10. März 2021 bis 8. April 2021.

"Leben ohne Erinnerung" ist eine Produktion der Bremedia Produktion GmbH im Auftrag von Radio Bremen. Die Dokumentation wurde 2021 für ARTE produziert und in einer kürzeren Fassung auch im Ersten ausgestrahlt.

Arte-Interview mit der Co-Autorin Nadine Niemann

Nadine Niemann
Bild: Radio Bremen

Wie seid Ihr auf Daniel Schmidt bzw. das Thema gekommen? Wie hat Daniel Schmidt auf die Frage reagiert, dass Ihr eine Doku über ihn machen wollt?

Eigentlich ist das Thema zu mir gekommen. Ich habe eine private Verbindung zu seiner Partnerin Katharina. Sie hatte mir bei einem Treffen erzählt, dass sie Daniel kennengelernt hat. Und unausweichlich sprachen wir dann auch über seine Geschichte. Kurze Zeit später hat sie mir Daniel vorgestellt.

Wir haben lange und offen über seinen Schicksalsschlag und seine Einschränkungen gesprochen, über die Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas und ich war total fasziniert von Daniels Umgang mit seiner Situation – so optimistisch, so positiv, so engagiert. Irgendwann habe ich erwähnt, dass Daniels Geschichte an die Öffentlichkeit muss, dass er eine Inspiration ist für Menschen mit ähnlichen Schicksalsschlägen. Er fand die Idee sehr gut und hatte auch schon daran gedacht, aber er wusste nicht, wie das geschehen sollte. Ich habe ihm erzählt, dass ich bei Radio Bremen im Bereich Fernsehen/Dokumentationen arbeite und ihn gerne dabei unterstütze, wenn er das möchte. Er hat sich total gefreut.

Also habe ich ein Exposé geschrieben und bin damit zu Mechtild Lehning und Thomas von Bötticher gegangen, die beide direkt begeistert von der Geschichte waren. Mechtild hat das Thema bei ARTE eingereicht und es wurde sofort angenommen. Weil ich eine erfahrene Autorin an meiner Seite brauchte, habe ich Mechtild gefragt, ob sie den Film mit mir machen würde, was sie glücklicherweise bejaht hat. Thomas hat die Redaktion übernommen.

Wann starteten die Dreharbeiten, wann endeten die Dreharbeiten?

Los ging es am 14. Februar 2018, dem dritten Jahrestag des Unfalls, und den letzten Dreh hatten wir am 14. Februar 2020, dem fünften Jahrestag.

Was war die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten?

Die größte Herausforderung war die Planung der Dreharbeiten, die Absprachen mit Daniel und die Vorbereitungen. Ich habe vor jedem Termin die Themen und Fragen des Drehtags verschriftlicht und ihm geschickt, damit er sich mit Hilfe seiner Tagebücher darauf vorbereiten konnte. Zwei Tage vor dem Dreh habe ich ihn nochmal erinnert und nach jedem Dreh verschriftlicht, was wir an dem Tag gedreht haben.

Trotzdem war es schwierig. Er hatte andere Termine vergessen, musste deswegen unsere Dreharbeiten absagen. Besonders problematisch waren die Drehabbrüche. Einmal konnten wir nach zwei Monaten wieder anfangen, aber das andere Mal hatten wir fast ein Jahr Drehpause und er verweigerte jeden Kontakt.

Aber ich hatte die Hoffnung, dass sein Wunsch, diese Doku zu realisieren, nicht komplett verloren gegangen war. Mit einem handschriftlichen Brief unseres ganz tollen Teams mit Kameramann Christoph Oldach und Tonfrau Ruth Reeh-Georgi haben wir ihn emotional erreicht. Es gab ein Treffen, bei dem wir über alles gesprochen haben. Danach war er wieder Feuer und Flamme für den Film und mit mehr Eifer dabei als zuvor. Danach war vieles leichter.

Was ist das Besondere an dem Film?

Das Besondere an dieser Doku ist die Nähe zu Daniel. Es ist ein sehr emotionaler Film, der einen Hauptprotagonisten begleitet, der einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat und mit einer starken Einschränkung leben muss: ein Leben ohne Erinnerungen an den gestrigen Tag oder den Tag davor oder den Tag davor und das wahrscheinlich für den Rest seines Lebens.

Aber Daniel zerbricht nicht daran. Er kämpft sich zurück in ein neues Leben und versucht das Beste daraus zu machen, indem er anderen Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma hilft. Daniel erzählt seine Geschichte in diesem Film selbst. Er reflektiert zusammen mit Katharina seine Situation und sein Leben. Die beiden machen das so stark, dass es ein reines O-Ton-Stück ist.

Außerdem wirft der Film immer wieder Fragen zu dem Stellenwert von Erinnerungen auf. Was wären oder was sind wir ohne unsere Erinnerungen? Wie kann Nähe zwischen Menschen entstehen, wenn es keine gemeinsamen Erinnerungen gibt? Und was bedeutet es, ein Leben im Moment zu führen?