Die Kings von Kreuzberg
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- Veröffentlicht am: 8. November 2024
- Verfügbar bis: 8. November 2026 Informationen zur Verweildauer
Sie waren Berlins berüchtigtste Gang: die 36 Boys. Ihr Revier: Kreuzberg. Sie waren füreinander da, vertrieben Neonazis, lieferten sich Revierkämpfe. Jugendliche im härtesten Kiez West-Berlins der 80er Jahre. Was ist aus ihnen geworden?
Beispielsweise ein Sterne-Koch: Auch Tim Raue gehörte zu den Kings von Kreuzberg. Fast alle hatten einen Migrationshintergrund. Sie benannten sich nach dem ehemaligen Berliner Postbezirk SO 36. Kreuzberg. Sie waren füreinander da, vertrieben Neonazis und lieferten sich Revierkämpfe mit anderen Gangs. Fünf Geschwister, eine heruntergekommene Wohnung ohne Bad, dafür mit Außenklo und Ofenheizung. So ähnlich wie Senol Kayaci wuchsen die meisten Mitglieder der 36 Boys in Kreuzberg in den 1980ern auf. Viele hatten Gewalterfahrungen in der Kindheit, manche gerieten auf die schiefe Bahn.
Senol Kayaci saß im Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung und räuberischer Erpressung. Inzwischen besprüht er Wände nur noch, wenn er dafür einen Auftrag hat.
Neco Celik ist einer der Gründer der Gang. Er holte die Schule nach und erzählt, wie er den von ihm gebauten Mist geradezubiegen versuchte. Er engagierte sich in der Arbeit mit Jugendlichen und reflektiert seine Erfahrungen heute in Theaterstücken und Filmen.
Tim Raues Kindheit war durch Gewalt und Armut geprägt. Er wollte so schnell es ging auf eigenen Beinen stehen, machte mit 16 eine Kochlehre. Heute ist er Zwei-Sterne-Koch und Medienstar. Sein Berliner Lokal "Tim Raue" gehört zu den 50 weltbesten Restaurants.
Muci Tosun war Anführer der 36 Boys. Respekt verschaffte er sich mit den Fäusten. Jenseits der Straße wurde er Deutscher Meister im Boxen und Weltmeister im Kick-Boxen. "Wir wären füreinander über Leichen gegangen", sagt er.
Die Gruppe gab ihnen Selbstvertrauen. Aufrappeln und kämpfen – das haben die "Kings von Kreuzberg" gelernt und verinnerlicht. Der Film erzählt ein Stück Berliner Stadtgeschichte, das kaum bekannt ist und das Mut macht, auch mit schlechten Karten gut zu spielen – und manchmal sogar zu gewinnen.
Autor: Carmen Gräf, Susanne Heim
Sender/Sendung: RBB, Unser Leben
Erstsendung: 24.01.2024
Laudatio von Inga Mathwig
Böse Jungs. Schlägertypen. Ohne Perspektive. Das ist die Schublade, in die viele von uns die 36 Boys wohl auf den ersten Blick stecken würden – eine Jugendgang, die in den 80ern in Berlin Kreuzberg ihr Unwesen trieb. Aber Carmen Gräf und Susanne Heim vom rbb blicken mit uns hinter die Fassade, sprechen mit Männern, die intelligent und sensibel sind – und die als Jungs an Prügelritualen teilgenommen haben. Sie treffen den Ex-Knacki Cemal, für den Kunst alles bedeutet, oder ein ehemaliges Gewaltopfer, das heute zu den führenden Sterne-Köchen Deutschlands gehört – Tim Raue. Denn die 36 Boys waren nicht nur eine Gang, die Markenklamotten abzog – sondern auch eine Gruppe, die Zusammengehörigkeitsgefühl stiftete, auch gegen Rechtsextremismus. Den beiden Autorinnen erzählen sehr persönliche Geschichten der einst armen Jugendlichen, die oft aus (türkischen) Zuwandererfamilien stammen. Sie mussten sich selbst einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen, weil sie immer das Gefühl hatten, nicht willkommen zu sein. Den beiden Reporterinnen gelingt es, ihr Vertrauen zu gewinnen – und damit einen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch seltenen Einblick in deutsche Migrationsgeschichte zu gewähren, an deren Ende die Frage steht: Was ist heute eigentlich anders?