ARD Story: Unter Druck – Selbstständige in Deutschland

Selbstständig zu sein, kann ein Traum sein – in der Realität ist es für manche eher ein Alptraum! Deutschland tut sich schwer mit den 4,2 Millionen Frauen und Männern, die selbstständig, freiberuflich arbeiten oder ein Unternehmen gegründet haben. Der Wunsch nach beruflicher Selbständigkeit ist folglich auch nicht besonders ausgeprägt. Die teilweise dramatischen Bedingungen sprechen sich herum. Hohe Arbeitsbelastung, geringe Verdienstmargen, gesetzliche und bürokratische Fallstricke – womit haben Selbstständige zu kämpfen? Was müsste sich dringend ändern? In der "ARD Story: Unter Druck – Selbstständige in Deutschland" besucht Astrid Spiegelberg Menschen, für die diese Fragen Alltag sind.

Ein Mann arbeitet mit Ohrenschutz in einer Tischlerwerkstatt
Der Bremer Matthias Winter hat vor lauter Bürokratie kaum noch Zeit, um in seiner Tischlerwerkstatt zu arbeiten. Bild: Radio Bremen | André Krüger

Franziska Ebertowski liebt es, selbständig zu arbeiten. Mit 18 gründet sie ihre erste eigene Firma. Es folgen weitere. Die fünffache Mutter sprüht vor Energie und Ideen, sie scheut weder die Arbeit noch das Risiko. Auch ihr Mann ist selbständig. Der Wunsch, Deutschland zu verlassen und woanders ein neues Geschäft aufzubauen, kommt schleichend. Die hohe Abgabenlast, immer neue bürokratische Hürden und ständige Kontrollen rauben dem Paar viel Zeit und Kraft. Irgendwann ist das Maß für sie voll!

2021 brechen sie ihre Zelte in Hamburg ab und wandern nach Kroatien aus. In ihrer neuen Heimat finden Franziska und Oliver das, was sie als Selbstständige in Deutschland vermisst haben: Wertschätzung von der Gesellschaft, gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen – und das meist auch noch bei blauem Himmel. Ebertowskis sind kein Einzelfall. Immer mehr Selbständige kehren Deutschland den Rücken oder denken darüber nach.

Für Annette und Gerald Ullrich aus dem thüringischen Floh/Seligenthal ist Auswandern keine Option. Sie sind in der Region zuhause und fühlen sich wohl. 1990 gründet Gerald Ullrich den Spritzgussbetrieb und führt ihn zusammen mit seiner Frau. Das Unternehmerpaar setzt alles daran, ihren Familienbetrieb für sich und ihre 39 Angestellten zukunftsfähig aufzustellen. Eine wichtige Weiche ist gestellt: Ihre beiden Söhne, Michael und Sebastian, werden den Betrieb übernehmen, wenn sie in den Ruhestand gehen. Ihre täglichen Herausforderungen sind gigantisch: Plastikverarbeitung ist energieintensiv und damit teuer, es fehlen Arbeitskräfte, Lieferketten sind unterbrochen und Kundschaft bricht weg, weil sie ins Ausland abwandern.

Als sich der Bremer Tischlermeister Matthias Winter vor 30 Jahren selbständig macht, arbeitet er im Schnitt 10 Stunden pro Tag in seiner kleinen Werkstatt und etwa 1 Stunde im Büro. Heute ist es umgekehrt. Akquise, Administration, Bürokratie und Verbandsarbeit nehmen ihn komplett in Beschlag. Seine drei Mitarbeiter und der Lehrling müssen sein Gehalt mitverdienen. Und die Politik? Sie tut so gut wie nichts, meint Winter. Die Probleme der Selbständigen sind dort immer noch nicht wirklich angekommen.

Statt in seiner Werkstatt zu arbeiten, muss sich der Bremer Tischlermeister Matthias Winter die meiste Zeit um die Bürokratie kümmern.
Statt in seiner Werkstatt zu arbeiten, muss sich der Bremer Tischlermeister Matthias Winter die meiste Zeit um die Bürokratie kümmern. Bild: Radio Bremen | André Krüger

Verliert Deutschland an Wirtschaftskraft und verschenkt kostbare kreative Ressourcen, die eigentlich so dringend gebraucht werden, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen? Das Fazit vieler Selbständigen: Es ist wahnsinnig schön, selbstständig zu arbeiten, aber auch wahnsinnig schwer. Das müsste es nicht sein.